Konzert
Nehm'n Sie'n Alten! — Kabarett-Chansons mit Ina Seiffert

Manchmal sehnt man sich angesichts des aktuell dominierenden Dienstleister-Pops aus Deutschland Marke Revolverheld und Andreas Bourani nach den bissig-bösen Chansons der 20er Jahre. Die Kölner Chanteuse Ina Seiffert und Michael Allan, ihr Mann am Klavier, pflegen diese Kultur.
„Nehm’n Sie’n Alten“ ist der Titel eines Couplets von Otto Reutter. Couplets – das waren witzig-bissige Reimlieder zu aktuellen Alltagsthemen, und Reutter in den 1920er Jahren einer ihrer erfolgreichsten Protagonisten. Mit seinem bekanntesten Werk – „Der Überzieher“ – feierten noch Jahrzehnte später Entertainer wie Peter Frankenfeld und Peter Alexander große Erfolge.
In der Gegenwart ist die große Kunst des Kabarett-Chansons von den großen Bühnen verschwunden. Das kann man angesichts des gegenwärtigen Stromlinien-Einerleis im Formatradio bedauern. Man kann sich aber auch darüber freuen, Chanteusen vom Format der Kölnerin Ina Seiffert in der Kulturkirche Ost bewundern zu dürfen. In den Goldenen Zwanzigern hätte die scharfzüngige Blondine vermutlich sämtliche Variéte-Bühnen in Berlin bis auf den letzten Platz gefüllt.
Seiffert beherrscht die große Geste, gibt mit Genuss die Femme Fatale, kitzelt mit ihrer tiefen Damenstimme den frivolen Charme aus Liedern wie „Der Neandertaler“ (Neumann/Wilden) oder „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ von Friedrich Hollaender, das Marlene Dietrich einst zum Welthit machte. Überhaupt: Hollaender. Sieben Chansons in Seifferts Programm stammen aus der Feder des deutsch-jüdischen Musikdichters, der sich so wunderbar selbst auf den Arm nehmen konnte und auch die Musik zum weltberühmten Dietrich-Film „Der Blaue Engel“ schrieb. „Wenn ick mal tot bin“, der Tagtraum eines Schulmädchens von seinem Ableben, ist ein Höhepunkt in Seifferts Auftritt.
Ein weiterer, ohne Zweifel, der Schluss – auch so etwas will gekonnt sein. Ina Seiffert hat „Danach“ von Kurt Tucholsky und Olaf Bienert ans Ende des Programms platziert. Na klar, keine Reminiszenz an die 1920er Jahre kommt ohne Verweis auf den Urvater aller deutschen Satiriker aus. In „Danach“ fragt er sich und die Zuhörer, weshalb im Film nach dem Happy End immer „abgeblendt'“ werde – und gibt die Antwort selbst. Damit auch dieser Text genau wie der gelungene Auftritt von Ina Seiffert und ihrem Pianisten Michael Allen mit einem Schmunzeln endet: hier der Link zu Tucholskys Gedanken.
Aktuelle Infos und Terminhinweise finden Sie auf der Facebook-Seite der Kulturkirche Ost.