"Kinder erleben immer Erfolg"
Die Ideen hinter Mitmach-Kunstprojekten
Märchenfiguren, die auf einen Kindergarten zulaufen. Ein Stromhäuschen, das wie ein abstraktes Kunstwerk im Raum steht. Gesprayte Ballons mit den Konterfeien der jungen Künstlerinnen und Künstler – in den GAG-Siedlungen überrascht und begeistert an vielen Orten Straßenkunst. Das Besondere: Die Anwohnerinnen und Anwohner, jung und alt, mit und ohne Handicap, sind an der Entstehung der Street-Art beteiligt. Sie malen, sie sprayen, sie gestalten. Im Interview erzählen Maria Thissen, Sozialarbeiterin im Quartier bei der GAG Immobilien AG, und der Künstler Jo Pellenz, wie die Kunstwerke entstehen und was ihnen besonders wichtig ist.
Was ist das Ziel der Mitmach-Street-Art?
Maria Thissen: Unsere Überzeugung ist, dass Menschen, die sich an der Gestaltung ihrer Umgebung beteiligen, ein stärkeres Gefühl von Teilhabe und Zuhause entwickeln. Wir stellen fest: Mitmachen schafft Identifikation. Das sehen wir auch. Kunstwerke im öffentlichen Raum werden kaum beschädigt. Denn das, was man selbst gestaltet, bekommt einen anderen Wert.
Jo Pellenz: Hierzu eine Anekdote. Wir hatten mal Jugendliche, die am ersten Tag ihr Revier verteidigen wollten und nichts von der Aktion hielten. In der ersten Nacht beschmierten sie das entstehende Bild mit Dreck. Am zweiten Tag konnten wir sie ansprechen und zum Mitmachen bewegen. Ein Jahr später berichteten sie mir stolz, wie sie verhindert hatten, dass das Kunstwerk von anderen beschädigt wurde.
Es handelt sich um Kunst im öffentlichen Raum. Was gestalten Sie?
Maria Thissen: Hier hat in den vergangenen Jahren ein Wandel stattgefunden. In den ersten Jahren wurden hauptsächlich Fassaden bemalt. Das geht leider wegen der neuen Wärmedämmungen nicht mehr so einfach. Die Graffiti und Fassadenfarben verhindern die Luftzirkulation. Außerdem gab es immer wieder Bedenken von Architekten, weil die vorhandenen Farbkonzepte verändert werden. Deswegen gestalten wir heute meist Tiefgaragenabfahrten, Garagen und deren Rückwände, Verkleidung von Müllboxen sowie Stromhäuser und -kästen.
Wie entwickeln Sie die Motive?
Jo Pellenz: Die Motive geben wir Künstler meist vor. Wir zeigen der GAG im Vorfeld eine Skizze. Das Gesamtmotiv brechen wir dann didaktisch so runter, dass in allen Phasen der Bildentstehung die Kinder und Jugendliche beteiligt sind. Dann gibt es noch Mischformen. Hier entwickeln die Kids Teile des Motivs selbst.
Maria Thissen: Uns ist ganz wichtig, dass die Kinder nicht nur ausmalen. Der GAG geht es nicht ausschließlich um Gestaltung am Bau, sondern um Partizipation. Als Wohnungsgesellschaft wäre es für uns günstiger, die Wände ausschließlich von professionellen Künstlern bemalen zu lassen. Wenn wir Künstler suchen, dann immer welche, die sowohl gestalten als auch didaktisch arbeiten können.
Jo Pellenz: Ja, man muss beides denken. Erstens die soziale, partizipative Komponente. Zweitens die Verschönerung der Siedlung. Wir stecken genauso viel Energie in das Entwerfen wie in das Didaktische. Am Anfang steht immer die Frage: Welche Nachbarschaft braucht so eine Aktion?
Welches künstlerische Konzept verfolgen Sie?
Jo Pellenz: Klar, wir haben auch einen künstlerischen Anspruch. Die Motive müssen ästhetisch ins Straßenbild und zur Architektur passen. Bei der Wahl der Motive sind wir dabei frei. Sie müssen keinen direkten Bezug zur Siedlung haben, sich aber farblich ins Gesamtkonzept integrieren. Jeder Künstler bringt hier seine eigenen Ideen ein.
Wer macht bei den Aktionen mit?
Jo Pellenz: Meist Kinder und Jugendliche. In der Regel so ab zehn Jahren. Sie müssen eine Dose drücken können. Manchmal beziehen wir auch noch Kleinere mit ein.
Maria Thissen: Die Teilnahme ist praktisch für jeden offen und sehr niedrigschwellig. Die Kids müssen sich nicht anmelden. Sie können einfach vorbeikommen. Oft suchen wir uns auch Kooperationspartner wie Jugendzentren oder auch andere Träger vor Ort. Außerdem gibt es Aktionen, die sich gezielt an Ältere oder Menschen mit Behinderung richten.
Jo Pellenz: Die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer hängt dabei von den Rahmenbedingungen wie Zeit, Budget und Objekt ab. Pro Kunstpädagoge ist eine Betreuung von fünf oder sechs Kindern möglich. Mehr nicht. Wir gehen meist zu zweit raus, manchmal zu dritt. Sind mehr Kids interessiert, rotieren wir, sodass jeder mitmachen kann.
Maria Thissen: Normalerweise veranstalten wir die Aktionen in den Ferien. Sie dauern ein bis drei Wochen. Sind andere Einrichtungen beteiligt, wie beispielsweise eine Behindertenwerkstatt, kann es auch schon mal außerhalb der Ferien stattfinden.
Werden die Eltern mit einbezogen?
Maria Thissen: Bei den Aktionen machen sie nicht mit. Natürlich werden sie informiert, dass ihre Kinder Kleidung anziehen sollen, die dreckig werden kann. Aber sobald das Bild fertig ist, gibt es eine Feier, um das Ergebnis vorzustellen, zu der wir außer den Beteiligten auch die Eltern und die Nachbarn einladen.
Jo Pellenz: Das Tolle ist: Die Kinder erleben immer einen Erfolg!