"Musik gibt Halt"
Guter Zugang zu Jugendlichen
Warum heißt das Musikangebot „Identitätsstifter“?
Gregor Mink: Unser Ziel war es, dass sich die Teilnehmer mit ihrer eigenen Identität auseinandersetzen. Wer bin ich? Wo bin ich? Wo möchte ich hin? Diese Fragen sollten sie sich stellen. Ein wichtiges Stichwort heißt: Selbstreflexion. Viele Jugendliche wissen gar nicht, wo sie in ihrem Leben hinmöchten. Die Teilnehmer des Projektes sind zwischen 14 und Anfang 20. So sind z. B. einige in der Pubertät. Andere haben einen Migrationshintergrund und so weiter. Die eigene Identität spielt bei ihnen eine besondere Rolle.
Welche Rolle spielt das Medium Musik?
Gregor Mink: Über die Musik bekommen wir einen ganz anderen Zugang zu den Jugendlichen. Musik geht sehr in die Tiefe. Sie setzen sich mit einem Thema auseinander, das sie sich selbst ausgesucht haben. Die Vorgabe lautete nicht, „Schreibe über deine Identität“, sondern „Schreibe über etwas, das dir wichtig ist“. So findet sich ein Thema, das sie wirklich bewegt.
Können Sie ein Beispiel geben?
Gregor Mink: Nehmen wir Anna. Sie ist 15 Jahre alt und kam vor zwei, drei Jahren aus Armenien nach Deutschland. Sie hat also einen Migrationshintergrund. Sie musste ihr Heimatland aus familiären Gründen sehr plötzlich verlassen, von jetzt auf gleich Freunde und Heimat aufgeben. Deshalb war sie sehr traurig. Aber Musik gab ihr Halt. So singt sie schon lange im Kirchenchor.
Wie entwickelte sie ihr Lied?
Gregor Mink: Das war ein Prozess, der über Wochen lief. Sie kam zu uns und meinte, sie wolle unbedingt mitmachen. Da sie aber noch nicht so lange Deutsch spricht, bräuchte sie Hilfe bei dem Liedtext. Wir sagten ihr, kein Problem, wir unterstützen dich. Auf einer Mindmap haben wir ihr Hauptthema „Heimat“ geschrieben und dann immer weitere Verzweigungen gebildet. Am Ende fanden wir so das Thema, das sie am meisten bewegte: Neuanfang. So heißt das Lied auch. Denn in dem Prozess fand Anna heraus, dass vieles am Anfang nicht schön war, anderes aber schon, wie die Musik. Und so bildete sich die Quintessenz des Liedes, dass ihr neues Leben auch die Chance für sie bietet, einen Neuanfang zu starten. Den Prozess kann man auch am Beispiel von Peter sehen. Er wollte einen Hip-Hop-Song machen. Als er mit seinem Text ankam, war der Song sehr oberflächlich. Die typische Rap-Angeberei. Dicke Autos, Reichtum und so weiter. Er kopierte nur. Es dauerte einige Wochen, in denen wir herausarbeiteten, was ihm im Kern wichtig ist. Und das ist die Beziehung zu seinem Vater, der in Russland lebt und zu dem er keinen Kontakt hat. Über die Musik und mit seinem Instagram-Account möchte er die Aufmerksamkeit von seinem Vater gewinnen. Es ist ein sehr persönlicher Song geworden.
Sylke Born: In dem Lied spürt man die Wut, die Verzweiflung und auch die Traurigkeit. Ganz viele Gefühlsebenen spiegeln sich darin wider.
Wie wurden die Texte musikalisch umgesetzt?
Gregor Mink: Das war unterschiedlich. Peter wollte einen Rap. Am Computer haben wir versucht, durch Töne und Beats eine Stimmung zu erzeugen, die zum Text passt. Aus dieser Stimmung haben wir dann eine Melodie entwickelt, bis Beats, Melodie und Text eine Einheit ergaben. Dabei hatte Peter großen Einfluss, wie der Song klingen soll. Anders war es bei Anna. Das Lied ist sparsam, nur mit einer Gitarre arrangiert. Anna und David, der unsere Musiker hier im Projekt unterstützt, saßen zusammen und haben die Melodie geschrieben. Das nahm mehrere Wochen in Anspruch.
Wie viel Lieder entstanden so?
Gregor Mink: Bis jetzt fünf. Drei weitere folgen in den nächsten Monaten. Wenn wir acht aufgenommen haben, wollen wir eine CD pressen. Die Teilnehmer erhalten dann einige Exemplare zur Erinnerung. Auch einige Live-Auftritte sind geplant. Sie werden dann von David und anderen jungen Musikern der Einrichtung begleitet.
Was motivierte die GAG, das Projekt zu unterstützen?
Sylke Born: Das Thema hat mich einfach angesprochen. Ich finde dieses Projekt faszinierend, da es hier um Persönlichkeit und die charakterliche Weiterentwicklung der Jugendlichen geht. Sie sind sehr mutig, wie sie sich in der Musik outen und lernen, zu sich und zu ihren Gefühlen zu stehen. Durch die Musik erhält die Geschichte einen ganz anderen Tiefgang. Ihre Persönlichkeit steht im Zentrum.
Gregor Mink: Sie entdecken das eigene Talent. „Wow, ich kann einen eigenen Song schreiben.“ Dadurch öffnen sie sich ganz anders.
Sylke Born: Für uns als GAG sind solche Projekte sehr wichtig, da wir die Menschen, die hier leben, auf einer anderen Ebene kennenlernen. Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind Mieterkinder. Und sie lernen auch die GAG besser kennen. Wir bauen einen anderen Bezug zu den Mietern auf. Sie spüren, ihr Vermieter ist nicht nur Vermieter. Es entsteht eine positivere Beziehungsebene.