Wie sieht Streetwork bei der GAG aus?
Rundgang durch Chorweiler — Einzelfälle aus dem Arbeitsalltag

Hassan Fakhir wuchs in Chorweiler auf. Roman Friedrich arbeitet in dem Viertel seit über zehn Jahren. Die beiden kennen jede Ecke in dem Stadtteil. Plätze, an denen sich Jugendgruppen treffen. Parks, in denen gedealt wird. Keller, in denen Drogen konsumiert werden. Mehrmals die Woche machen die beiden GAG-Streetworker einen Rundgang durch „ihr“ Quartier in Chorweiler. Auf ihrer Jacke steht groß „Streetwork“. Sie sprechen mit den Menschen, fragen nach ihren Sorgen, haben ein offenes Ohr für die Probleme. So bekommen sie früh mit, wenn sich im Viertel etwas zusammenbraut, und können präventiv eingreifen.
Der Suizidgefährdete
Der Anruf kam an einem Wochenende. Hassan Fakhir ging ans Telefon, da er die Nummer kannte und wusste, dass dieser Klient ernsthafte Probleme hat. Zum Glück hob er ab. Robert erzählte ihm, dass er sich gleich umbringen werde und er sich verabschieden möchte. Er erzählte nicht nur, „dass“, sondern auch „wie“ er sich das Leben nehmen wolle. Nun schrillten Alarmglocken bei dem Streetworker. Durch Schulungen wusste er, Menschen, die detailliert ihre Selbstmordpläne darlegen, sind kurz davor, diese umzusetzen. Er beruhigte den Mittzwanziger und sagte, dass er die Polizei informieren werde. Diese reagierte sofort, holte ihn in der Wohnung ab und wies ihn zur stationären Behandlung ein.
Nach wenigen Wochen rief Robert ihn wieder an. Der junge Mann erzählt nun, er habe einen Abschiedsbrief geschrieben und sich bereits mit einem Messer verletzt. Wieder konnte Hassan Fakhir ihn überzeugen, auf ihn zu warten. Er komme gleich vorbei. Da er sich nicht alleine in die Situation begeben wollte, rief er seinen Kollegen Roman Friedrich an, mit der Bitte, ihn zu unterstützen. Sie fuhren zu der Wohnung, sprachen eindringlich mit Robert, der an den Armen stark blutete, bis er zustimmte, mit ihnen in eine Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu fahren. Als der Klient eine Behandlung zunächst ablehnte, überredete ihn Hassan Fakhir schlussendlich zu einem Klinikaufenthalt. Robert blieb einige Wochen in der Klinik und ließ sich psychiatrisch behandeln.
Solche Fälle belasten die Streetworker psychisch sehr. Deswegen treffen sie sich regelmäßig mit Supervisoren, mit denen sie solche Belastungen aufarbeiten.
Zwischen zwei Welten
Die Mädchen und Jungen wollen westliche Freiheiten genießen, die Eltern hängen einem traditionellen Erziehungs- und Lebensstil an. Diese Konstellation führt gelegentlich zu innerfamiliären Konflikten bei Familien mit Migrationshintergrund. Angst vor Behörden wie dem Jugendamt verschlimmern die Situation, wobei die Jugendlichen das Jugendamt als Druckmittel einsetzen. In so einer Gemengelage kommt Roman Friedrich ins Spiel. Er sucht das Gespräch mit Eltern und Kindern und versucht zu vermitteln. Auf der einen Seite baut der Streetworker Ängste vor dem Jugendamt ab, auf der anderen Seite entmystifiziert er die Jugend-WGs. „Einige Jugendliche glauben, in den betreuten Wohngemeinschaften können sie Sex, Drugs and Rock’n’Roll ausleben. Deswegen wollen sie weg von Zuhause. Die Eltern hingegen meinen, dass das Jugendamt ihnen sofort die Kinder wegnimmt. Häufig verstehen sie auch nicht das Amtsdeutsch“, erzählt Roman Friedrich.
Dabei sei die Situation zu Hause nicht dramatisch, so der Sozialarbeiter. Die Kinder wurden gut behütet großgezogen. Es sei vielmehr ein Problem von Lebensstilen, die in der Familie aufeinanderprallen. Ohne professionelle Unterstützung rasen beide Parteien gegen die Wand. Dann vermitteln die Streetworker den Kontakt zu Beratungsstellen. Oft helfen schon erste Gespräche mit Eltern und Kind. Ziel sei es, dass die Kinder in der Familie bleiben.
Nach der Haft
Der 40-jährige Berat saß wegen verschiedener Delikte in Haft. Nach einem Schicksalsschlag wurde er psychisch krank und rutschte in die Arbeitslosigkeit ab. Er nahm Drogen, dealte zur Finanzierung seiner Sucht, konnte Geldstrafen nicht bezahlen. Verunreinigte Drogen verschlimmerten seinen Zustand. Als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, vergaß Berat, seine Haftentlassungspapiere zu beantragen. Doch: Ohne Haftentlassungspapiere bekommt er keine Leistungen vom Jobcenter. Schließlich könnte ein Dritter für ihn die Leistungen beantragen, während er noch in Haft sitzt. Berat ist mit der Situation vollkommen überfordert, weiß nicht, was er tun soll.
Gespräche mit dem Amt führen zu Konfrontationen, die mit der Justizvollzugsanstalt (JVA) verlaufen im Sand. Sie reichen die Papiere nicht nach. Ohne Leistungen droht er wieder kriminell zu werden, Diebstähle zu begehen. Verzweifelt wendet sich seine Schwester, bei der Berat Unterschlupf gefunden hat, an Hassan Fakhir. Der Streetworker klemmt sich hinter das Telefon, spricht mit der JVA und den Behörden. Trotz seiner Erfahrungen mit der Verwaltung scheint die Situation verfahren. Über Wochen schafft die JVA es nicht, die Haftentlassungspapiere auszustellen. Schlussendlich kann Hassan Fakhir einen Termin organisieren, bei dem sich Berat persönlich mit ihm beim Amt vorstellt und nachweist, dass er wirklich nicht mehr im Gefängnis sitzt. Jetzt können Leistungen ausgezahlt werden.
Der Willensstarke
Seine Umgebung und seine Lehrer stempelten ihn ab: „Du wirst niemals die Mittlere Reife schaffen.“ Andrej galt als minderbegabt und besuchte eine Förderschule. Danach wurde er in eine Maßnahme des Internationalen Bundes eingegliedert. Jetzt sollte der junge Mann eine Ausbildung zum Beikoch machen. Er hatte andere Pläne: „Ich will nicht Beikoch werden. Ich will unbedingt meinen Hauptschulabschluss und dann einen Realschubschluss machen.“ Die Lehrer wiegelten ab.
Andrej fragte Hassan Fakhir, ob er ihn unterstützen könne. Gemeinsam trafen sie sich mit Lehrer, Schulleiter, Mitarbeitern vom Internationalen Bund und vom Jobcenter. Alle sprachen auf Andrej ein, seine Bildungsziele aufzugeben und die Ausbildung zum Beikoch zu beginnen. Der Streetworker stärkte ihm den Rücken: „Falls er den Abschluss nicht schafft, kann er immer noch Beikoch werden. Ich bin mir aber sicher, wenn er etwas erreichen will, erreicht er es auch.“ So ermutigt, blieb Andrej bei seinem Beschluss: Er ging auf die Hauptschule. Dort machte er nicht nur die Mittlere Reife, er war so gut, dass er nun kurz vor dem Abitur steht.