"Wir wohnen hinter den Kunsthäusern"
Die Idee hinter den Streetart-Projekten
Seit einiger Zeit tauchen immer mehr großflächige Graffiti an den Häuserwänden der GAG auf, sogenannte Murals. Stefan Gisder vom Sozialmanagement initiiert und koordiniert die Projekte dieser besonderen Form von Street Art. Im Interview berichtet er über die Hintergründe und erläutert, wie Fassadenkunst zur Quartiersentwicklung beiträgt.
Seit wann gibt es Murals an den Häusern der GAG?
Stefan Gisder: Ausgangspunkt war das CityLeaks Urban Art Festival im Jahr 2013. Der Organisator, der Kölner Kunstverein Artrmx ist auf uns zugekommen und fragte, ob wir als Wohnungsunternehmen Wände zur Verfügung stellen können. Parallel zu dieser Kooperation haben wir etwa zwei Jahre später im Rahmen unserer Quartiersentwicklung damit begonnen, eigene Mural-Gestaltungen mit Künstlern zu konzipieren und umzusetzen. Insgesamt sind so bis 2019 insgesamt 13 großformatige Fassadenbilder und zusätzlich einige kleinere Wandgemälde entstanden.
Warum engagiert sich die GAG in diesem Bereich? Und was haben Street Art und Murals mit Quartiersentwicklung zu tun?
Stefan Gisder: Wir haben erkannt, dass die Fassadengemälde neben ihrem eigenen künstlerischen Wert weitere positive Effekte mit sich bringen. Natürlich tragen sie offenkundig zur Verschönerung und Aufwertung des Wohnumfeldes bei und damit auch zu einem positiven Image der jeweiligen Standorte und Quartiere. In eher gleichförmigen Wohnsiedlungen geben sie als weithin sichtbare Landmarken zudem Orientierung und verleihen Gebäuden Individualität. Darüber hinaus bieten sie den Bewohnern eines Hauses oder Viertels Identifikationsmöglichkeiten. Mit den Murals schaffen wir optische Ankerpunkte im Quartier, an denen sich ein Gefühl von Heimat, Zusammengehörigkeit und Nachbarschaft entwickeln kann.
Ein ansprechendes Wohn- und Lebensumfeld, funktionierende Nachbarschaften – das sind sowohl Zielsetzungen von Quartiersentwicklung als auch Kennzeichen lebenswerter Wohnquartiere. Kunst im öffentlichen Raum – und dazu gehören unsere Murals – ist ein Faktor von vielen, der dazu beitragen kann.
Schließlich bringen wir mit den Murals Kunst häufig an solche Stellen, an denen weder die Bewohner eines Viertels noch Passanten damit rechnen. Damit setzen wir künstlerische Impulse in der Stadt und zeigen so auch das Engagement der GAG für Kunst im öffentlichen Raum und für ein anregendes und attraktives Stadtbild von Köln.
Wie bindet die GAG ihre Mieterinnen und Mieter bei den Fassadenkunstprojekten ein?
Stefan Gisder: Wir laden die Hausbewohner und die Nachbarschaft grundsätzlich immer ein, die Künstler zu besuchen und ihnen bei der Arbeit über die Schulter zu schauen. Den Entstehungsprozess eines solch großen Kunstwerks zu verfolgen, ist ja mindestens genauso spannend und interessant, wie später das fertige Bild an der Wand zu sehen. Anders als bei Künstlern, die zurückgezogen in ihrem Atelier arbeiten, hat hier jeder die Möglichkeit zuzuschauen und mit den Künstlern direkt in Kontakt zu treten.
Außerdem schaffen wir bei jedem Projekt einen Anlass, mit dem wir diesen Austausch gezielt ermöglichen. Das Mural am Karl-Berbuer-Platz haben wir beispielsweise mit einer Eröffnungsveranstaltung für die Hausbewohner zusammen mit den Künstlern von Highlightz vorgestellt. Bei einem gemeinsamen Rundgang entlang der gestalteten Fassaden haben die Künstler Einblicke in ihre Arbeit gegeben, Fragen beantwortet, und im Anschluss gab es bei Lebkuchen, Glühwein und Live-Musik noch ein geselliges Beisammensein. Beim Mural an der Leyendeckerstraße haben wir die Bewohner des vom Künstler Zedz gestalteten Hauses zu einer Street Art-Führung unseres Kooperationspartners Artrmx eingeladen. Der Rundgang startete am frischgestalteten eigenen Wohnhaus und führte dann zu weiteren Murals anderer Künstler im Stadtteil. Während der Anfertigung der Murals an der Widdersdorfer Straße gab es wiederum einen Barbecue-Nachmittag, den interessierte Anwohner mit den beiden Künstlern Tictone & Taroe verbracht haben.
Da bei den Mural-Projekten eine direkte Beteiligung der Bewohner an der Erstellung der Wandbilder nicht möglich ist, kommt solchen Angeboten der Teilhabe und Vermittlung eine wichtige Rolle zu, damit die Fassadenbilder im Sinne der Quartiersentwicklung vor Ort auch andocken.
Wie reagieren Passanten und die Anwohner auf die Kunstwerke vor ihrer Haustür?
Stefan Gisder: Während die Künstler daran arbeiten, schauen ihnen viele erst einmal nur neugierig zu, freuen sich aber darüber, dass eine kunstvolle Verschönerung an ihr Haus oder in ihr Quartier kommt. Kritische Anmerkungen gibt es nur äußerst selten. Wenn die Wandgemälde fertiggestellt sind, fallen die meisten Reaktionen sehr positiv aus. Häufig bekommen wir zu hören, dass die Wohnsiedlung nun etwas Besonderes ist und sich positiv von der Umgebung abhebt. Ein Beispiel: 2017 wurde mit einem Mural des argentinischen Künstlers Elian Chali am Clevischen Ring die letzte von insgesamt drei vormals tristen Hochhaus-Fassaden der Hacketäuer-Siedlung gestaltet. Heute sagen dort viele: „Wir wohnen in der Siedlung hinter den bunten Kunsthäusern.“
Grundsätzlich stellen wir fest, dass die die großformatigen Fassadenkunstwerke alters- und kulturübergreifend „funktionieren“ und sich entsprechend großer Zustimmung erfreuen.
Wie wählen Sie die Künstler aus?
Stefan Gisder: Für unsere Mural-Vorhaben entwickeln wir zunächst ein auf die jeweilige Zielsetzung und spezifische Fassade vor Ort bezogenes, gestalterisches Grobkonzept. Ausgehend von diesen Vorüberlegungen zu Gestaltungsstil, Thema oder Motiv des geplanten Murals recherchieren wir Künstler, die wir uns für eine solche Gestaltung vorstellen könnten und sprechen diese an.
Alternativ greifen wir auf den Pool von Künstlern zurück, mit denen wir bereits zusammengearbeitet haben oder die sich bei uns beworben haben. Allerdings haben wir weitaus mehr Interessenten als verfügbare Wände. Auch deswegen wählen wir die Künstler für unsere Auftrags-Murals sehr sorgfältig aus.
Bei den Murals, die wir im Rahmen des CityLeaks-Festival umsetzen, sieht es anders aus. Hier schlägt uns das Festival eine kleinere Zahl von Künstlern für eine Wand vor. Wir schauen uns dann deren jeweiligen Gestaltungsstil und die bisherigen Arbeiten an und treffen daraufhin unsere Auswahl. Vor der Realisierung des Murals an der Wand erhalten wir zwar noch einen Entwurf der Gestaltung, aber letztendlich sind es weitestgehend freie Arbeiten, welche die Künstler im Rahmen des Festivals an unseren Wänden realisieren können.
Und nach welchen Kriterien werden die Fassaden ausgewählt?
Stefan Gisder: Eine Fassade zu finden, die sich für ein Mural gut eignet, ist tatsächlich schwieriger als man vermuten mag, da dafür zahlreiche Aspekte erfüllt sein müssen. Grundvoraussetzungen sind eine gewisse Größe der Wand sowie eine uneingeschränkte Sichtbarkeit und öffentliche Präsenz, z. B. an einem Platz, einer Kreuzung oder belebten Straße und ohne beispielsweise Bäume als Sichthindernis davor. Für eine wirkungsvolle Gestaltung muss die Fassade zudem weitestgehend ohne Versprünge, Balkone und Fenster sein. Die Zugänglichkeit der Fassade per Hubsteiger ist ein weiterer Punkt. Die Farbmaterialien und die Farbpalette, die zum Einsatz kommen können, hängen wiederum von der Art des Putzes ab und ob sich eine Wärmedämmung darunter befindet. Angesichts dieser und weiterer Voraussetzungen ergibt sich, dass nicht überall, wo wir ein Mural im Sinne der Quartiersentwicklung gerne umsetzen würden, auch eine geeignete Fassade vorhanden ist.
Allein am Beispiel der Fassadenkriterien lässt sich erkennen, dass Murals neben den gestalterischen Fragen auch im Hinblick auf bautechnische Aspekte sowie viele weitere logistische und organisatorische Planungen komplexe Projekte sind, an der entsprechend verschiedene Abteilungen bei der GAG beteiligt sind. Das Sozialmanagement plant und koordiniert solche Projekte zwar, aber nur durch die gute Zusammenarbeit und Beratung der Kolleginnen und Kollegen können die Projekte auch erfolgreich durchgeführt werden. Das betrifft z. B. die Instandhaltung bei der Prüfung der baulichen Voraussetzungen, den organisatorischen Support durch das Kundencenter vor Ort bei der Umsetzung oder die Abteilung Recht und Kommunikation bei der Vertragsgestaltung mit den Künstlern oder der Organisation von Presseterminen. So ist ein Mural immer auch eine Gemeinschaftsleistung.
Sind für die Zukunft weitere Murals geplant?
Stefan Gisder: Ja. Wir wollen auch weiter die Stadt mit solchen Wandbildern bereichern und das Potenzial von Graffitikunst, Street Art und Murals für die Entwicklung unserer Quartiere und Nachbarschaften nutzen. Diese urbanen Kunstformen sind dafür ein Quell kreativer Ideen, innovativer Künstler und beeindruckender Gestaltungsmöglichkeiten. Zumindest einen kleinen Teil dieses Schatzes zu fördern und an den Wänden der GAG auszustellen, das ist unser Antrieb.