Kunst und Texte
Das eigene Leben in Wort und Bild
Die Geschichte meines Lebens
Schreibwerkstatt in Köln-Niehl
„Das ist die Qualität der Gruppe, dass das Vertrauen unter uns wächst. Vieles hätte ich vor einem halben Jahr nicht schreiben können“, erzählt Mechthild W., eine der Teilnehmerinnen der Schreibwerkstatt in Köln-Niehl. Alle 14 Tage treffen sich die Frauen im Alter zwischen 65 und 80 Jahren in der GAG-Seniorenwohnanlage Pohlmanstraße, um über ein Thema zu sprechen und anschließend einen Text zu verfassen. Die Teilnehmerinnenzahl schwankt zwischen fünf und zehn.
„In der Regel reden wir über eine Stunde, manchmal auch länger“, sagt Buchautorin und Schreibcoach Claudia Satory, die die Werkstatt anleitet. „Gerade, wenn es um heiße Themen geht, ist die Diskussion wichtig. Nach der Diskussion schreibt jede Teilnehmerin etwa eine halbe Stunde lang ihre Geschichte auf. Wir sind also eine Erzähl- und Schreibwerkstatt.“ Die Themen kreisen um das Motto der Werkstatt: „Die Geschichte meines Lebens“. Einen Nachmittag lang wurde die Frage nach Heimat behandelt, einmal drehte sich die Diskussion um Wendepunkte im Leben, an einem anderen Nachmittag beschäftigten sich die Frauen mit dem Unausgesprochenen und schrieben nieder, was sie schon immer mal sagen wollten. Das Thema gibt Claudia Satory vor. Es dient als Schreibimpuls, soll aber nicht als strenge Vorgabe gesehen werden.
„Die Gespräche sind unheimlich anregend. Es ist verblüffend, welche Texte daraus entstehen. Manche Texte sind nah dran am Thema, manche weichen aber auch ab“, so Elke M., eine 68-Jährige, die im Mehrgenerationenhaus Ledo in Niehl lebt. „Nach der Diskussion beginnt ein innerer Prozess in mir“, ergänzt Angelika F., „ich weiß vorher nie genau, was dabei rauskommt.“
Das Unausgesprochene aufschreiben
Die Vielfalt zeigt sich schön bei dem Thema des Unausgesprochenen. Während Angelika F. einen kurzen Essay über den Begriff „Die Rechten“ schreibt und sich in diesem mit aufkommenden fremdenfeindlichen Tendenzen auseinandersetzt, beschäftigt sich Elke M. mit den Männern der Nachkriegsgeneration und ihrem Schweigen. Am Ende fragt sie: „Würden wir Frauen es besser machen, wenn wir die Macht hätten?“
Zum Schluss oder beim nächsten Treffen werden die Texte vorgelesen und diskutiert. Einige Texte werden zuhause überarbeitet, andere bleiben in ihrer ursprünglichen Fassung. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten ist ein wesentlicher Bestandteil der Schreibwerkstatt. Deswegen werden auch keine Vorgaben bezüglich der Form gemacht. Von Prosa über Erinnerungsbericht bis zum Essay ist alles dabei. „Bei sehr persönlichen Texten fließen – das kann man ohne Scham sagen – auch schon mal die Tränen, gerade wenn vorher Unbewusstes oder Unausgesprochenes zutage kam“, so Claudia Satory. Durch das Schreiben und Vorlesen kriege man oftmals eine neue und frische Beziehung zum eigenen Leben, zur Kostbarkeit der eigenen Erfahrungen. Das empfinden gerade ältere Menschen als etwas Wunderschönes.
„Ich wollte neue Leute kennenlernen“
Die Motivationen der Teilnehmerinnen sind ganz unterschiedlich. Angelika F. etwa wollte ebenso neue Leute kennen wie Barbara G., die im Ruhestand eine neue Beschäftigung suchte. Beide hatten noch keine Schreiberfahrung. Barbara G. und Mechthild W. waren schon bei der ersten Schreibwerkstatt, die 2018 in Niehl stattfand, dabei. Hedwig G. engagiert sich auch im Kirchenchor und bei den Lesekindern. Die fünfte im Bunde, Mechthild W., hatte in der Vergangenheit schon geschrieben und freute sich, diese Tätigkeit wieder aufnehmen zu können. Die Schreibwerkstatt ist vielleicht kein Wendepunkt im Leben der Teilnehmerinnen, aber eine große Bereicherung, wie alle einhellig feststellten.
„Toll, diese Farben!“
Malen mit Demenzkranken
„Man trägt doch eine eigentümliche Kamera im Kopf, in die sich manche Bilder tief und deutlich einbrennen, während andere keine Spur zurücklassen“, meinte schon die Schriftstellerin und Pazifistin Bertha von Suttner. Malen hilft gegen das Vergessen. Während des Malprozesses tauchen verschollene Bilder aus dem Unterbewusstsein auf. Diese Erkenntnis machen sich Malkurse für Demenzkranke zunutze. Alte Fähigkeiten und Erinnerungen werden aktiviert, Freude über das Erinnern zieht ein.
„Ich mag den Herbst“
Zwei dieser Kurse leitet der Künstler Anibal Maximilian Kostka in den Demenz-WGs der GAG an der Ostheimer Straße in Köln-Vingst und an der Remscheider Straße in Köln-Kalk. Zwischen fünf und neun demenzerkrankte Menschen nehmen daran teil. „Am Anfang des Kurses stehen Zeichenübungen, Malen nach Zahlen oder Vorlagen sowie verschiedene Maltechniken. Je nach persönlichen Voraussetzungen können diese Vorlagen und Techniken angepasst werden“, so der 30-jährige Künstler und Kunstpädagoge. Im weiteren Verlauf der zwölf Nachmittage wurden die Intensität und künstlerische Freiheit gesteigert. Nun konnten auch eigene Motive verwirklicht werden. So wollte eine Seniorin einen Igel, ihr Lieblingstier, malen. Im Herbst brachte der Künstler Blätter als haptische Anregung mit. „Ich mag den Herbst, er ist meine Lieblingsjahreszeit“, sagte eine Bewohnerin. Und ihre Nachbarin ergänzte: „Toll, diese Farben!“ Der Austausch über Motive und Bilder spielt während der einstündigen Kurse eine wichtige Rolle. An diesen Gesprächen nehmen auch Bewohner und Bewohnerinnen teil, die selbst kaum noch den Pinsel führen können.
Gemeinschaftskunstwerk für die WG
Zum Abschluss entstand ein Gemeinschaftswerk. Eine große Leinwand wurde in der Gruppe bemalt, die anschließend in der WG aufgehängt wurde und eine weitere Erinnerungsstütze bildet. „Der Wechsel vom liegenden zum hängenden Objekt löste Überraschung bei den Teilnehmenden aus“, so der Absolvent der Düsseldorfer Kunstakademie. „Eine Bewohnerin konnte gar nicht glauben, dass sie selbst mit ihrem Werk dazu beigetragen hat.“ Die Begeisterung und das Engagement bei den Teilnehmenden waren so groß, dass das Projekt auch in Zukunft weitergeführt wird.